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WISSENSCHAFT
KLASSISCHE PHILOLOGIE

AN DER UNIVERSITÄT FREIBURG

EXKURS: SOPHRON

Sophron von Syrakus (griechisch Σώφρων) war ein antiker griechischer Dichter. Er lebte im 5. Jahrhundert v. Chr. in Sizilien.

Seine Stücke waren derb-komische Prosaszenen, die ohne Szenerie zwar in Kostümen, aber ohne Maske rezitiert wurden. Dabei handelte es sich um realistisch gehaltene, dem täglichen Leben entnommene Einzelszenen, in denen teils ein Mann, teils eine Frau als Hauptfigur im Mittelpunkt standen. Die Sprache war rhythmisierte Prosa. Soweit ihr Inhalt erkennbar ist, spielten Wortwitz, Parodien und vor allem Situationskomik eine große Rolle.

Für ihren künstlerischen Rang zeugt Platons Begeisterung für diese Stücke, deren Texte er nach Athen geholt haben soll. Die Stücke sind allesamt verloren, lediglich einzelne Titel sind bekannt:
 

  • Der Landmann,

  • Der Thunfischer,

  • Die Schwiegermutter,

  • Die Flickerinnen,

  • Die Mondbeschwörerinnen

    Dabei unterteilt Sophron diese sogenannten "Mimen" nach männlichen und weiblichen Mimen (μίμους ἀνδρείους, μίμους γυναικείους), jeweils nach dem Hauptdarsteller. Näheres hierzu und den einzelnen Mimen findet sich bei

  • Hordern, J. H.(2004): Sophron’s Mimes. Text, Translation, and Commentary, Oxford
    n Hamburg: IBibliothek für Geisteswissenschaften (Philosophenturm), Klassische Philologie Bs 1212es.

Die Szenen dienten Theokritos als Vorbild. Apollodor von Athen schrieb einen vierbändigen Kommentar mit dem Titel Περὶ Σώφρονος. Die erhaltenen Fragmente stammen oft von Lexikographen und Dialektforschern.

Quelle: 

  • Bernhard Zimmermann: Die außerattische Komödie. In: Bernhard Zimmermann (Hrsg.): Handbuch der griechischen Literatur der Antike, Band 1: Die Literatur der archaischen und klassischen Zeit. C. H. Beck, München 2011, ISBN 978-3-406-57673-7, S. 664–670, hier: 668–670

  • Stabi Hamburg: "Mimes - Sophron" in Characters (Theophrastus) Standort/Signatur: Bibliothek für Geisteswissenschaften (Philosophenturm), Klassische Philologie Bt 706 a

In einem neuen Text zum "Theorietheater" weist Prof. Zimmermann darauf hin, dass der Phiosoph Platon den Komödiendichter Sophron neben Aristophanes am meisten geschätzt habe. Das habe der Neuplatoniker Olympiodor in seiner Vita Platons festgestellt, die er seinem Kommentar zum Alkibiades vorangestellt habe.

 

Grund genug für mich, mir den Dichter Sophron näher anzusehen, der mir bis dato gar nicht bekannt war. Links zunächst vorhandene Wikipedia-Notate.
 

Nun einige erste Gedanken zum Bezug von Platon zu Sophron:
Thomas Waldkircher

 

Soweit zu den bekannten Grundlagen. Neue Forschung zeichnet sich aber auch dadurch aus, dass sie Fragen stellt, die sich bisher noch nicht wirklich gestellt haben. Tatsächlich weist Prof. Zimmermann in seiner aktuellen Schrift "Theorietheater. Platon und die Komödie" darauf hin, dass lange Zeit immer wieder die Frage nach den sogenannten ΣΩΚΡΑΤΙΚΟΙ ΛΟΓΟΙ zurückgestellt wurde. Wie kommt es, dass in Platons Texten eine außerordentlich Prägnanz in der Figurenzeichnung, also der Charakterisierung einzelner Figuren durch ihre Redeweise erfolgt ist, wie sie üblicherweise nicht im Bereich der klassischen Philosophie etwa der Sokratiker aufzufinden ist. Hier werden Anleihen beim "Mimos" gemacht, die sich etwa folgendermaßen beschreiben lassen:


Der "Mimos" beschreibt eine Figur in einer fortlaufenden Mischung

1.ihres Verhaltens in einer bestimmten Situation, und

2.ihrer entsprechenden oder nicht entsprechenden Redeweise

3.bzw. der hieraus folgenden Veränderung ihrer Redeweise

4.und dann der Veränderung in eine neuen Situation.

Diese 4 Stufen bilden den Motor der fortschreitenden dramatischen Entwicklung, die so immer wieder von Satz zu Satz abläuft.

Der Dramatiker beobachtet und beschreibt dies - aber eben, ohne dass dieses Beschriebene vorher bereits vorhanden ist. Genau dieses "Beobachten und Beschreiben" geschieht eben nicht deskriptiv, durch eine reale Betrachtung, sondern durch das gleichsame "Erfinden einer Kombination aus einer neuen Situation mit einer neuen Rede einer neuen Reaktion auf ebendiese und zwar in Abweichung von der ersten, zugrundeliegenden Koppelung" auf einer rein gedanklichen Basis, in der Vorstellung des Dramatikers.

Als Formel könnte man schreiben:

Situation (S) * Redeweise (R) = R2[R*S] => S2

Die neue Situation wirkt sich aber natürlich auch wieder auf die Redeweise aus (R3], und führt damit ebenfalls wieder in eine neue S3.

Dieses Denken in diesen Fortschreibungen mit Sprüngen (das wir zunächst als "real-dialektisch" im Gegensatz zur rein gedanklichen Dialektik nennen wollen) ist dem Dramatiker wie auch der uns umgebenden Wirklichkeit von Beginn an eingeschrieben, und hat darum für jeden Menschen einen hohen Wiedererkennungseffekt.

Dagegen versucht die klassische fortschreitende Denkweise des Sokratikers eben gerade die Sprünge durch die inkludierte Multiplikation zu vermeiden, und eher eine folgerichtige Reihe im Stil von (S1 + S2 + S3 + S4 = Gedankenkonstrukt) also eine einfache Kette aufzubauen.

Dabei wußten bereits die Vorsokratiker und Aristoteles, dass diese Anleihe bei der Dichtkunst, die möglicherweise sogar der entscheidende Baustein der Poesie ist, die philosophische Gedankenführung beleben und ihre Schlüssigkeit durch Verankerung in der Erfahrungswelt für den Leser erhöhen kann.

 

In einer unten zitierten Arbeit von Kajetan Gandar heißt es, dass es Aristoteles darum ging diesen "mimetischen Anteil" im Text hervorzuheben, um damit klarzustellen, dass die Verwendung des Verses allein nicht die poetische Wirkung konstituiert. Er meint auch, dass Aristoteles aufgrund des fehlenden "mimetischen Anteils" etwa den Empedokles absichtlich nicht dem Bereich der Poesie zuordnet, die ΣΩΚΡΑΤΙΚΟΙ ΛΟΓΟΙ aber sehr wohl in diesem Bereich ansiedelt. Die Dialoge sogar des Sokrates selbst bezeichnet er als Prosa mit hohem mimetischem Anteil, den aber Menschen eventuell gar nicht wahrnehmen können, die auf der Suche nach seiner Poesie ausschließlich auf den metrischen Anteil darin achten, und dann dabei ebena auch stehenbleiben.

Auch wenn viele Forschenden diesen Anteil bei Platon ausgeprägt wiederfinden, vermeiden Sie es laut Gandar doch oft, sich eindeutig auf diese Einschätzung festzulegen, da Platon ihnen auf den ersten Blick zu weit vom Mimetischen entfernt zu stehen scheint.

Doch Alfred Gudemann ist es, der in seinem Kommentar zur Poetik des Aristoteles unmissverständlich von "... dem mimetischen Kunstwerk des platonischen Dialogs ..." spricht. [Peri poiētikēs / Aristoteles. Berlin, 1934. Mit Einl., Text und adnotatio critica, exegetischem Kommentar, kritischem Anh. und indices nominum, rerum, locorum von Alfred Gudeman, S.30]

Und tatsächlich ergibt die genauere Betrachtung von Garjahn, dass Aristoteles selbst auch nicht in der rhytmisierenden Wiederholung einer metrischen Setzung das eigentliche Wesen der Poesie vermutete, wenn er das auch ebenfalls nicht so deutlich ausspricht. Man nimmt an, dass die starke Vorliebe der Sophisten für diesen metrischen Anteil und dessen "psychagogische Macht" ihn von der Einnahme einer solchen Gegenposition abgehalten hat. Kajetan Gantar kommt hier sogar zu der Ansicht, dass Aristoteles Platon sogar fast in die Nähe Homers rückt, und er keinen anderen "Dichter" mit ähnlich hohem mimetischen Anteil neben Platon und Homer erkennen kann.

Es braucht nur noch einen kleinen Schritt, von hier auf das Bekenntnis von Platon zu Sophron und Aristophanes zurückzugehen. Wir haben schon gehört, das Platon von den Mimen des Sophron begeistert war. Hier hat Platon wohl in der eigenen Rezeption seinen Zugang zu den "mimetischen Anteilen" gefunden, deren Spuren in seinen eigenen Werken aber daraufhin sehr stark verwischt. Dies mag auch daran liegen, dass es eben nicht der allseits gelobte Aristophanes war, den Platon besonders liebte, oder auch "loben hätte müssen", sondern es eben gerade der eher überzeichnende Sophron war, der den Platon inspiriert hat. Hier liegt möglichweise auch der Grund dafür , dass die Dialoge in der Politeia des Platon eher leicht satirisch wirken, also etwas distanziert gegenüber den Figuren, und eher die Schwächen akzentuiert herausstellen, anstatt das Gesamtbild eines Menschen mit seinen sämtlichen Widersprüchlichkeiten zu zeichnen. Natürlich ist der Raum in diesem umfangreichen Werk auch sehr klein, da ja gerade in der Politeia der Gesprächsanteil des Führers ja sehr hoch ist, während die beiden Begleiter oft nur mit Einwänden reagieren, die auf wenige Worte beschränkt sind.

Dennoch lassen sich die kleinen Zündfunken darin nicht übersehen, mit denen es Platon fast nebenbei gelingt, den Leser zum Schmunzeln zu bringen, entweder weil seine Zuhörer in eine falsche Richtung denken, oder auch weil sie Unwesentliches zum Gespräch beitragen, ohne dieses Unangemessenheit selbst richtig einschätzen zu können. 

Es bleibt aber dezent und im Hintergrund. Und stärker dürfte es wohl auch nicht in den Vordergrund treten, ohne den Inhalt (den Staatsentwurf der Politeia) zu gefährden. Dennoch verwendet Platon hier ein wunderbares Transportmittel für die theoretischen Inhalte, die das Interesse des Lesers immer wieder neu wecken.

Und vielleicht liegt hier auch der Grundstein für ein solches "Theorietheater", wie es Professor Zimmermann in seinem nun hier noch zu benennenden Text anspricht:

Der Aufsatz ist erschienen in dem Band "Philosophus Orator. Rhetorische Stragegien und Strukturen in philosophische Literatur. Michael Erler zum 60. Geburtstag. Schwabe AG, Basel, 2016.  Darin: Bernhard Zimmermann. Theorietheater. Platon und die Komödie. (S. 47-63) 

Die Beschäftigung mit dem Text wird an dieser Stelle fortgesetzt!

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